Saldenmechanik des Finanzierungsbedarfs, Konjunktur & Fazit

Obzwar in der klassischen Theorie teilweise noch immer davon ausgegangen wird, wenn der Staat seine Nachfrage nach Kredit senkt, die Kreditzinsen für die Unternehmer sich deshalb so vergünstigten,1 dass allein deshalb die Unternehmer motiviert ihre Investitionen ausweiteten, ist (und war erfahrungsgemäß) das im konjunkturellen Abschwung niemals der Fall (siehe auch Artikelraum: Zu früherem Abschwung), da durch den direkten/indirekten Nachfrageausfall (bedingt durch die Ausgabenreduktionen der Staatshaushalte Inland/Ausland)2 der Investitionsbedarf der Unternehmen (um das gesamtwirtschaftliche Einnahmenniveau überhaupt nur in gleicher Höhe zu halten) sich grundsätzlich erhöhe. Günstiger Kreditzins (großzügige Geldpolitik) hilft den Unternehmen bei gestiegenem Kreditbedarf also nicht.3 Im Gegenteil, wenn der Kreditbedarf der Unternehmen sich durch den gesamtwirtschaftlichen Nachfrageausfall tendenziell zu erhöhen beginnt, werden die Unternehmen danach trachten, dem entgegen zu wirken (siehe auch Spreizeffekt). Sie werden (um für eine unsichere Entwicklung gerüstet zu sein) sich vorsichtshalber zu liquidisieren beginnen - also offene Kreditlinien überhaupt nicht ausnützen - offene Kreditschulden werden vorzeitig und möglichst getilgt, Investitionen zurückgestellt.4
Damit setzen die Unternehmen die (von den Staaten initiierte) Sparpolitik fort5 und ihre reduzierten Ausgaben reduzieren ihre Einnahmen (auch untereinander) weiter, das Volkseinkommen sinkt und infolge die Nachfrage noch tiefer - die privaten Haushalte werden mit ihren Ausgaben insgesamt vorsichtiger sowie die Banken mit Gewährungen von Kreditfinanzierungen. Die Sparquote der Privaten steigt (in Relation zu ihren sinkenden Einnahmen), die gesamtsektorale Nettokreditaufnahme sinkt: „Das Verhältnis von Sparrate und Investitionsrate bestimmt den Konjunkturverlauf.“6
 

1 Rüdiger Pohl: Staatsverschuldung und die crowding-out-Debatte (PDF; 49 KB). In: Staatsverschuldung Kontrovers. Köln 1981, S. 366 ff.

Wolfgang Stützel: Zum Einfluß der öffentlichen Verschuldung auf den Kapitalmarktzins. In: Staatsverschuldung Kontrovers. Siehe auch Auszug: Saldenmechanik der Nettokreditaufnahme durch den Staat.

3 Wolfgang Stützel: Volkswirtschaftliche Saldenmechanik. Nachdruck der 2. Auflage. Tübingen 2011, S. 166: „Selbst wenn gewisse zinsempfindliche Privatinvestitionen unter dem Eindruck der Kreditverbilligung zunächst steigen sollten, können doch die Einnahmeüberschüsse der Nichtunternehmer und damit die Ausgabenüberschüsse der Unternehmer durch Fiskal- und Sparpolitik so vergrößert werden, daß die Unternehmergewinne sinken, der Vorteil der Zinssenkung überkompensiert und die Gesamtinvestition nachhaltig gebremst wird; denn es ist eine Erfahrungstatsache, daß die Investitionen durch Veränderung der (Brutto-) Gewinnaussichten stärker beeinflußt werden als durch Änderungen des Zinssatzes.“

4 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 1967/68. S. 98, Ziffer 191: „Ähnliches gilt für die Unternehmen. Die Finanzierungsschwierigkeiten des Jahres 1966 haben sie zwar veranlaßt, Investitionsvorhaben zu vertagen und Läger abzubauen, aber reichlicheres Geldangebot allein hat sie 1967 nicht bewegen können, wieder mehr zu investieren. Waren 1966 finanzielle Erwägungen ausschlaggebend, so 1967 die Absatz- und Gewinnaussichten. Und wo Finanzierungserwägungen nach wie vor im Vordergrund standen, wie bei Unternehmern, denen die Rezession die Risiken hoher Verschuldung drastisch vor Augen führte, wirkte das reichliche Angebot von Leihgeldern vielfach nicht als Anreiz für zusätzliche Sachinvestitionen, sondern als willkommene Möglichkeit, die bestehende Verschuldung zu konsolidieren.“

5 Hans J. Barth: Potentialorientierte Verschuldung. Das Konzept des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. In: Staatsverschuldung Kontrovers. Köln 1981, S. 59: „Konjunkturneutral sind die öffentlichen Haushalte dann, wenn der Staat mit seinen Ausgaben und mit seinen Einnahmeregelungen nicht von dem abweicht, woran die Privaten gewöhnt sind, wenn der Staat also für sich genommen keine Abweichung von der Normalauslastung des Produktionspotentials bewirkt. Weicht das tatsächliche Haushaltsvolumen vom konjunkturneutralen Haushalt ab, steht die Differenz für den konjunkturellen Impuls.“

6 Wilhelm Lautenbach bei einem Vortrag auf der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg im Dezember 1931. In: Zins, Kredit und Produktion. (Hrsg. Wolfgang Stützel) Tübingen 1952, S. 158: „Das Verhältnis von Sparrate und Investitionsrate bestimmt den Konjunkturverlauf. Eine Wirtschaft befindet sich im Gleichgewicht, wenn Investitionsrate und Sparrate gleich sind, sie gerät in Hoch-Konjunktur und stürmische Entwicklung, wenn die Investitionsrate über die Sparrate steigt, und sie gerät in eine Krise und fortgesetzte Versackung, wenn die Investitionsrate unter die Sparrate sinkt.“

[Hinsichtlich des Verhältnisses von Investitions- zu Sparquote meint Lautenbach freilich die Ex ante-Erfüllung/-Nichterfüllung der relationalen Gleichgewichtsbedingung - zu der Unterscheidung von Soll- und Ist-Begriff (Gleichgewichtsbedingung/Ex post-Identitäten) siehe beispielsweise Zins, Kredit und Produktion (PDF; 1,5 MB), S. 32-34 sowie Frenkel/John (2011): Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, S. 30.]