• Saldenmechanik
  • Nettokreditaufnahme öffentlicher Haushalte (Wolfgang Stützel, 1955/1981)

Saldenmechanik der Nettokreditaufnahme durch den Staat

„Bei einer Nettokreditaufnahme des Staates verschwinden die aufgenommenen Mittel nicht in irgendwelchen Horten, sondern werden ausgegeben, der Staat tätigt in gleichem Maße einen Ausgabenüberschuss, und die aufgenommenen und ausgegebenen Mittel fließen letztlich irgendwelchen anderen Wirtschaftssubjekten (in ihrer Eigenschaft als Lieferanten, Vorlieferanten, Arbeitnehmer u. a.) zu. Alle diese Wirtschaftssubjekte (Unternehmen und private Haushalte, Inländer und Ausländer) zusammengenommen weisen dann genau den entsprechenden Einnahmeüberschuss auf, der gleichzeitig und zwangsläufig als Gegenstück zum staatlichen Ausgabenüberschuss entsteht. Im Zuge jeder Erhöhung der staatlichen Nettokreditaufnahme, d. h. erhöhter staatlicher Ausgabenüberschüsse (verglichen mit dem vorangegangenen Zeitraum oder mit vorher bestehenden Plänen), erhöht sich also der Einnahmeüberschuß der Gesamtheit aller übrigen Wirtschaftssubjekte in genau dem gleichen Maße; bei einigen von ihnen spiegelt sich dies in Form höherer Einnahmeüberschüsse, bei anderen in Form niedrigerer Ausgabenüberschüsse wider. Diese Wirtschaftssubjekte können daher am Kapitalmarkt entsprechend mehr Mittel zur Anlage anbieten, als sie ursprünglich anzubieten planten (bzw. fragen selbst weniger Kredite nach, als sie ursprünglich nachzufragen planten).1
 
Dies gleicht der Wirkungsweise einer Fontäne: In dem Maße, in dem der Staat (per Saldo) Kredit aufnimmt („Wasser absaugt“), tätigt er einen Ausgabenüberschuss, der gleichzeitig Einnahmeüberschüsse bei irgendwelchen anderen Wirtschaftssubjekten darstellt; diese anderen Wirtschaftssubjekte verfügen damit über entsprechend höhere potentiell anlagebereite Mittel, die somit in den „Teich“ zurückfallen.“2

 

1 Wolfgang Stützel: Zum Einfluß der öffentlichen Verschuldung auf den Kapitalmarktzins.

In: Staatsverschuldung Kontrovers. Köln 1981, S. 50 f.

2 Der Fontänenvergleich durch Wolfgang Stützel findet sich bereits in:

Berliner Bank Aktiengesellschaft. Die Börse 1954. Berlin Januar 1955, S. 14.

 

Fließt die Staatsverschuldung zu großen Teilen ins Ausland, profitiert zunächst freilich die ausländische Volkswirtschaft. Die Problematik einer in Relation zum BIP steigenden Staatsverschuldung ist insbesondere durch das Instrument der Ratingagenturen machtpolitisch nutzbar. Insofern gab es mal das Projekt zur Gründung EU-europäischer Ratingagentur(en), was alsbald eingestellt wurde.

Die Angst vor steigenden Zinsen zur Schuldenbedienung betrifft freilich abhängige Regierungen und Finanzministerien, womit Gläubiger(institutionen) eine machtpolitisch gestärkte Position einnehmen werden.

Eine steigende Staatsverschuldung eines Landes wäre zunächst weniger ein Problem des privaten Bankensektors, denn damit würden höhere Einnahmen aus der erhöhten Zinsbedienung jenes bei ihm verschuldeten Staates erzielt werden können. Allerdings würden schlechter geratete Staatsanleihen die finanzliquiden Mittel (Sekundärliquidität) auf der Aktivseite der Geschäftsbanken verringern, wofür höhere Sicherheiten, also höhere Eigenkapitalquoten gemäß BIZ-Basel-Vorschriften erforderlich wären. Diese Bestimmung kann, muss aber nicht ausgesetzt werden. Hieraus resultiere also sowohl ein kurzfristiges Solvenz- sowie Liquiditätsrisiko des Privatbankensektors, abhängig von den Entscheidungen der jeweiligen Zentralbank(en) bzw. der Aufsichtsbehörden.

 

Bilanzielle Verluste von im Bankbestand befindlichen Staatsanleihen (Wertberichtigungen/Abschreibungen) verringern per Saldo auf der anderen Seite (Passivseite der Bankbilanz) die Eigenkapitalquote, woraus Bankensolvenzrisiken beachtlich werden können. Relevanz weist letztlich die Relation von Staatsschulden zu Entwicklung der Wirtschaftsleistung, also die Staatsschuldenquote auf. Im Optimalfall sinkt mit absolut steigender Staatsverschuldung die Schuldenquote, sofern die eigene (inländische) Wirtschaftsleistung (jenes BIP) steige. Etwa der Internationale Währungsfonds (IWF) möchte davon selten ausgehen [Anm. CGB].