Kreditgewährung im Gleichschritt („Giralgeldschöpfung“)

Wird von einem Kreditinstitut an Private sowie an öffentliche Haushalte Kredit gewährt, bucht es die offene Geldschuld des Kreditnehmers als Vermögensposition auf der Aktivseite ihrer Bilanz und im Gegenzug eigene Geldverbindlichkeiten gegenüber dem Kreditnehmer auf der Passivseite (Bilanzverlängerung). Das Geldvermögen der kreditgewährenden Bank ändert sich durch diesen Buchungssatz nicht. Auch das Geldvermögen des Kreditnehmers ändert sich bei Kreditgewährung (noch) nicht - bei Vernachlässigung der Spesen, wird dem Kreditnehmer auf seinem Girokonto die Kreditsumme gutgeschrieben, gleichzeitig sein Kreditkonto in gleicher Höhe belastet.

 

Die Liquidität gegenständlichen Kreditinstituts verschlechtert sich, wenn dieses seinen Verbindlichkeiten nachkommen muss, beispielsweise in dem Moment, wo der Kreditnehmer an eine andere Bank überweist. Verfügte das Kreditinstitut vor der Kreditgewährung nicht über überschüssige Liquidität (Liquiditätssaldo)1,  kann es, um sich wieder Liquidität zu verschaffen, die Kreditforderungen entweder an ein anderes Kreditinstitut (Interbankenmarkt) oder an die Zentralbank verkaufen bzw. gegen Refinanzierungskredit (Zentralbank/Interbankenmarkt) verpfänden. Solange eingeräumte Verbindlichkeiten innerhalb der Bank verbleiben - wenn beispielsweise der Kreditnehmer an einen Verkäufer auf ein Konto bei der selben Bank überweist - ändert dies an der Liquidität des jeweiligen Instituts freilich nichts.

 

Genauso bleibt die Liquidität des Kreditinstituts unverändert, wenn gewährte Gelder an andere Banken zwar abfließen, jedoch aufgrund von Kreditgewährungen anderer Banken und den Überweisungen ihrer Kreditnehmer Gelder wieder zurückfließen. Inwieweit Kreditinstitute selbst refinanzieren müssen, hängt also primär vom Saldo (Differenz Verbindlichkeiten/Forderungen)2 gegenüber anderen Banken ab.

 

Der Schlüssel zum Funktionieren des Systems ist also die Kreditgewährung im Gleichschritt. Hans Gestrich zeigte diese anhand von adaptierten Bilanzbildern 1936 in Neue Kreditpolitik (PDF; 652 KB) und Carl Föhl stellte 1937 in Geldschöpfung und Wirtschaftskreislauf (S. 84) die Kreditgewährung im Gleichschritt bildlich wie folgt dar:

In der Praxis funktioniert die Kreditgewährung im Gleichschritt freilich nur bedingt3 und nicht für alle Kreditinstitute (siehe auch Kreditmechanik: Zu Giralgeldschöpfung).

 

Ein Solvenzproblem entsteht für Banken jedenfalls, wenn ihre Vermögenspositionen (wie Kreditforderungen, Wertpapiere) in ihren Büchern, aufgrund von Kursverlusten an der Börse oder aufgrund vermehrter Insolvenzen und entsprechenden Kreditausfällen, abwerten.

 

Grundsätzlich beginnt die Bedienung von Krediten vermehrt auszufallen, wenn die Geldpolitik der jeweiligen Zentralbank restriktiv wird, wenn also (abhängig vom von der Zentralbank festgesetzten Leitzins sowie von Kontingenthöhen) der Preis für Kredite sowohl für Banken wie für Nichtbanken steigt, denn weniger neue Schuldner und geringere Neuverschuldungshöhen  (bei unveränderter Leistungsbilanz und neutraler Fiskalpolitik) verringern tendenziell die Möglichkeiten der alten Schuldner ihre offenen Kredite zu tilgen.4

 

Werden (vorsichtsichtshalber) Kreditsummen von Nichtbanken vermehrt und sogar vorzeitig, d.h. stärker getilgt (Bilanzverkürzung) als neue Kredite vergeben (negative Nettokreditaufnahme), wird dem Wirtschaftskreislauf Geld entzogen und (bilanztechnisch) netto(!) vernichtet.5

1 Vgl. Liquiditätssaldokonzept nach/siehe Claus Köhler: Geldwirtschaft. Band 1. Geldversorgung und Kreditpolitik. Berlin 1977, S. 81 ff.

2 Wolfgang Stützel: Volkswirtschaftliche Saldenmechanik. Tübingen 2011, S. 38: „Gleichschritt herrscht, wenn bei jeder Einzelwirtschaft die Eingänge gerade so hoch sind wie die Ausgänge, also gerade keine Salden auftreten.“

3 Wolfgang Stützel: Volkswirtschaftliche Saldenmechanik. Tübingen 2011, S. 29: „Wüßte ein Bankier, daß die anderen mit ihm im Gleichschritt disponieren, dann brauchte er nicht jene Liquiditätsminderung zu befürchten, die ihm auf Grund von Partialsätzen bei jeder Ausdehnung seiner Kredite droht. Tatsächlich kann ein einzelner Bankier aber nicht von jener Voraussetzung ausgehen. So muß er sich stets so verhalten, als ob die Ausdehnung seiner Kredite seine Liquidität verminderte, selbst wenn er weiß, daß dies für die Gesamtheit [d. Kreditinstitute] nicht zutrifft [...]“

4 Wolfgang Stützel: Volkswirtschaftliche Saldenmechanik. Tübingen 2011, S. 49: „Die Vermehrung der Neuausleihungen/Periode geht stets mit einer gleich großen Verstärkung des Stromes der Kreditrückzahlungen und/oder Neueinlagen einher.“

5 Wilhelm Lautenbach: Zins, Kredit und Produktion. (Hrsg. Wolfgang Stützel) Tübingen 1952, S. 48: „Leistet ein Kreditor an einen Debitor, so schrumpft die Kreditsumme, leistet ein Debitor oder einer, der durch die Zahlung Debitor wird, an einen, der nicht Debitor ist, so erhöht sich die Kreditsumme. Sie bleibt aber gleich, wenn ein Debitor an einen anderen Debitor oder ein Kreditor an einen anderen Kreditor leistet.“